Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 09.2006
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Schwarz-rot-geil

Bild - Schwarz-rot-geil
Was für ein Sommer! Erst kommt er nicht, dann kommt er doch und zwar mit einer umwerfenden Wucht, mit Temperaturen, die einen dahinschmelzen lassen, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Ein Wunder, dass niemand in seinem Bett im eigenen Schweiß ertrunken ist. Als Bewohner einer Dachwohnung weiß ich, wovon ich rede. Aber man soll ja nicht klagen. Das so genannte gute Wetter, das so lange herbeigesehnt und herbeigeredet wurde, kam gerade rechtzeitig, um die Fußball-WM im strahlendsten Licht erscheinen zu lassen und das Bad in der Menge der öffentlich Fußballguckenden(„Public Viewing“) zugleich zu einem Sonnenbad zu machen. O ja sie war schon schön, diese deutsche Fußball-WM, und eine Freude war es auch, der Klinsmann-Elf, unseren Jungs, bei ihren Spielen zuzusehen, wenn ich auch noch nachträglich ein paar kleine Anmerkungen zu machen habe. Erstens: „Wir“ sind nicht Weltmeister geworden, sondern nur Dritter; zweitens: Es ist „uns“ immer noch nicht gelungen eine „große“ Nationalelf zu besiegen, denn genau besehen, ist das Spiel gegen Argentinien Unentschieden ausgegangen, drittens: Wiedermal haben „wir“ gegen die Italiener ein entscheidendes Spiel verloren - und zwar auf eigenem Platz und dann auch noch - auch wenn es nicht leicht fällt das zu bekennen - verdient. Nein, nein, ich mag nicht kritteln, mag nicht nachträglich in den übervollen Freudenbecher spucken, das haben andere getan, die Anstoß genommen haben an der Welle der patriotischen Begeisterung, die angeblich über das Land schwappte, kenntlich an den schwarzrotgoldenen Fähnchen, die Balkone, Fensterbänke und Autos schmückten und gelegentlich immer noch schmücken. „Schwarz-rot-geil“ dichtete die Bild-Zeitung in gewohnt notgeiler Manier und traf damit wieder mit Schmackes voll daneben. Schwarz und rot (zusammen mit weiß) waren auch die Farben des Kaiserreiches und des Dritten Reiches, es ist das Gold, das die deutsche Flagge veredelt, das ihr gewissermaßen die Unschuld verleiht, es sind die Farben der Revolution von 1848, der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland (natürlich auch der DDR, allerdings verunziert durch Hammer und Zirkel), unter dieser Flagge wurden keine Kriege geführt, keine Länder überfallen. Es sollte also Schwarz-rot-gold-geil heißen, an schwarz und rot könnten sich schließlich auch jene aufgeilen, die wirklich gemeint sind,. wenn die Bedenkenträger von Nationalismus und Revanchismus faseln. Aber wie immer bei Großereignissen, die die Gemüter bewegen, der Tod eines altgedienten Papstes, der Beinahe-Gewinn einer Fußball-WM, gießen die Medien, und vor allem die“Bild“-Zeitung Öl in das ihnen wohl etwas zu schwach, zu wenig fotogen flackernde Feuer der allgemeinen Anteilnahme und Begeisterung, vor allem, um sich selbst in Szene zu setzen. Überrumpelt von dem mitinszenierten Freudentaumel wurden Behauptungen in die Welt gesetzt, die keiner ernster Überprüfung stand halten. „Die Hälfe aller deutschen Autos sind mit der Deutschlandflagge geschmückt“ behauptete kess eine aufgekratzte Moderatorin, Ich sah daraufhin aus dem Fenster und stellte fest, dass - wohlwollend geschätzt - nur jedes zehnte Auto ein oder zwei Fähnchen spazieren fährt. Das ist immer noch eine ganze Menge, was sicher auch damit zu tun hat, dass die Dinger in jeder ADAC-Geschäftsstelle für einen Spottpreis zu haben waren. Wenn ich schon die Schlagzeilen wie „Ganz Deutschland feiert“ und ähnliches lese, sträuben sich mir die Nackenhaare, weil diese Geschlossenheit des deutschen Volkes allenfalls im NS-Staat zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gegeben war. Wenn davon die Rede ist, dass 30 Millionen Menschen die Fußballspiele am Fernsehen verfolgt haben, dann impliziert dies eben auch, dass 50 Millionen Deutschen die WM am Arsch vorbeigegangen ist, das reicht von Papst Benedikt XVI („Wir sind Papst“) , der laut gut unterrichteten Kreisen lieber zeitig schlafen ging, als sich das Spiel „Deutschland - Italien“ anzusehen, bis zu meiner Nachbarin, die sich mit dem Strickzeug auf den Balkon setzte, als ringsum die Schallwellen der Fußballbegeisterung hochgingen. Am Verlogensten war aber die unterschwellige (gelegentlich aber auch überschwellige) Behauptung, dass man dergleichen noch nie erlebt habe, dass die Deutschen auf einmal wie ausgewechselt seien. Wir erinnern uns: 1954 wird die Fritz-Walter-Elf nach dem überraschenden WM-Sieg in plombierten Eisenbahnzügen nach Hause gefahren, zu tief sitzt die Schande über die jüngste Vergangenheit; 1974 nach dem WM-Sieg von München findet die deutsche Siegesfeier als geschlossene Veranstaltung im Hofbräuhaus statt; 1990 trauen sich hie und da ein paar Fans mit Deutschland-Fahnen in die Öffentlichkeit, sie werden von Sozialpädagogen eingefangen und dazu verdonnert sich einen Vortrag über deutsche Schuld und Verantwortung im 20.Jahrhundert anzusehen. Beim grandiosen Vize-WM-Sieg vor vier Jahren kam es hie und da zu Zusammenrottungen und Rudelbildungen auf der Straße und öffentlichen Plätzen, die aber von der Polizei unter weitgehender Gewaltvermeidung aufgelöst wurden. Alles Quatsch natürlich. Die so genannte Fußball-Euphorie gab es schon immer und wenn Deutschland Weltmeister oder beinahe Weltmeister wurde, waren die Freudenbezeugungen eben besonders heftig, dazu gehört auch das kollektive und das individuelle Fahnenschwenken. Kaum einer der Fahnenträger dürfte auch nur entfernt die Wiederherstellung des deutschen Reiches in Grenzen von 1937 oder die Eroberung von Lebensraum im Osten im Sinn gehabt haben. Die staatstragenden Gedanken, die in Artikeln und Diskussionsforen über den neuen deutschen Nationalismus geäußert wurden, gingen wie das ganze hypertrophe mediale Getöse um die WM, das zum heißen Sommer auch noch jede Menge heißer Luft produzierte, an der buntscheckigen bundesdeutschen Wirklichkeit des Jahres 2006 vorbei. Ach, hätte doch gelegentlich ein Regenschauer die erhitzten Moderatoren und Kommentatoren abgekühlt. Jetzt da der Regen da und der Sommer so weit entfernt ist, erscheinen selbst die Torheiten dieses Fußball-Sommers im verklärten Licht. Schön war es doch. Mal sehen, ob unsere Jungs
bei der nächsten EM unter der Leitung von Joachim Löw, vormals KSC, Ähnliches zustande bringen Dann feiert wieder die halbe Nation - mit oder ohne Fahne, aber in jedem Fall ohne böse Absichten.
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