Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 08.2006
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Osterlamm hin, Osterlamm her - Ein Nachruf auf Robert Gernhardt

Mein Körper ist so unsozial.
Ich rede, er bleibt stumm.
Ich leb ein Leben lang für ihn.
Er bringt mich langsam um.
(Robert Gernhardt)

Es begab sich aber zu der Zeit, als Willi Brandt noch auf Erden wandelte, ja, wenn ich mich nicht täusche, sogar Kanzler der Bundesrepublik Deutschland war, als mich während des Religionsunterrichts eine grosse Langeweile befiel. Und ich schrieb auf einen Zettel die Worte „Osterlamm hin, Osterlamm her. Ich hänge nun mal am Leben“ und reichte ihn herum. Der Zettel machte die Runde und löste, wie in den Mienen der Mitschüler abzulesen war, mal Befremden, mal Staunen, mal Schmunzeln aus. Was wollen uns diese Worte sagen´ Ich wusste es auch nicht recht, der Text war geklaut, entnommen einer kleinen Zeichnung aus dem Buch „Die Wahrheit über Arnold Hau“, das damals gerade bei einem obskuren kleinen Verlag namens Zweitausendeins erschienen war. Zu sehen waren ein Lamm und zwei Füße in Jesus-Latschen, darunter die ominösen Worte. Eine biblische Szene also, in der endlich einmal die Partei des Lammes ergriffen bzw. dessen Sicht der Dinge wiedergegeben wird. Ich weiß nicht einmal genau, ob die Zeichnung von Robert Gernhardt stammte. Die Hauptvertreter der Neuen Frankfurter Schule, also Gernhardt, F.K.Wächter und F.W.Bernstein, machten damals wenig Aufhebens von ihrer individuellen Urheberschaft. Auch bei „Welt im Spiegel“ (Wims), den zwei Seiten, die die Satirezeitschrift „Pardon“ allein schon lesenswert machten, ging es hinsichtlich der Autorenschaft drunter und drüber. Und dennoch drängte sich mir schon damals der Verdacht auf, dass der rührigste, gescheiteste, vielseitigste Kopf dieses Unternehmens Robert Gernhardt war, der sich damals noch „Lützel Jeman“ (Kleiner Irgendwer) nannte. Nur wenig später trug ein ostfriesischer Zausel names Otto mit seinen respektlosen Scherzen zumindest ein wenig zur Aufhellung meines von ständiger Versetzungsangst und unglücklicher Liebe geprägten Schulalltags bei. Was haben wir gelacht, als bei einer Fahrt ins Schullandheim ein Mitschüler den Mitschnitt der ersten, noch im Selbstverlag erschienenen Otto-LP in den Kassettenrecorder des Busses schob. „Lieber Gott, nimm es /dass ich was besonderes bin/und gib ruhig einmal zu/, dass ich klüger bin als du./Preise künftig meinen Namen,/denn sonst setzt es etwas. Amen.“ Erst viel später, eigentlich erst beim ersten „Otto“-Film, der ja wirklich noch ganz komisch war, wurde mir klar, dass der Zappelphilipp Otto an den Fäden von Robert Gernhardt und dessen Coautoren Peter Knorr und Bernd Eilert hing. Wie dürftig Ottos eigener Beitrag war, kann man heute, da er sich als Zwerg unter sieben Zwergen tummelt, erahnen. Gernhardt selbst ist der Witz nie ausgegangen, er hat Komik erzeugt, ohne selbst je zur komischen Figur zu werden. Er brachte die Menschen zum lachen, als ihm selbst zum Heulen gewesen sein muss. Wie er mit dem Tod seiner ersten Frau Almut (Kapitel „In Trauer“ in „Weiche Ziele“, seine zweite Frau heißt verwirrenderweise ebenfalls Almut), seiner Herzoperation („Herz in Not“) und seiner Krebserkrankung („K-Gedichte“) literarisch umging, das verriet, wie existentiell sein Humor war. Dieser Humor war nichts Aufgesetztes, keine Karnevalsmaske vor dem Alltagsgesicht, sondern eine Haltung gegenüber dem Leben und das heißt auch gegenüber der eigenen Vergänglichkeit, gegenüber Krankheit und Tod. Als ich ihn vor ein paar Monaten noch einmal live (lebendig) erlebte bei einem Zweistundenprogramm, in dem er sämtliche Register zog, erschien er mir wie ein Genesener, wie jemand, der es tatsächlich fertig gebracht hatte, mit seinem Wortzauber die Krankheit zu besiegen, dem Tod die lange Nase zu zeigen. Es war ein Irrtum, wie sich herausstellte. Am 30. Juni ist Robert Gernhardt gestorben. Es war der Tag des Viertelfinalfinalspiels zwischen Deutschland und Argentinien, das er sicher gern gesehen hätte. Auch auf den Sport und insbesondere auf den Fußball hat er sich, wie auf fast alle Aspekte des Lebens, einen Reim gemacht. Jetzt fällt ihm kein „Reim“ mehr „eim“. Während die so genannten Comedians sich damit begnügen, eine Manier, eine Pose bis zum Abwinken auszureizen, schöpfte seine Komik aus dem Vollen seiner schier unerschöpflichen literarischen und kunsthistorischen Bildung, seiner aufmerksamen, neugierigen Zeitgenossenschaft und seiner zahlreichen Talente: Er konnte dichten mit einer schwindelerregenden Leichtigkeit -, ein paar Gernhardt-Gedichte genügen um die albernen Vorurteile über die Humorlosigkeit der Deutschen und die Sperrigkeit der deutschen Sprache als Humbug zu entlarven - , er konnte aber auch trefflich erzählen. Überschaubar ist sein dramatisches Werk, aber allein schon die „Toskana-Therapie“, in der er die deutsche Toskana-Fraktion, zu der er selbst zählte, durch den Kakao zieht, ist witziger als fast alles, was deutsche Dramatiker in den letzten zwanzig Jahren auf die Bühne gebracht haben. Er war ein hieb- und stichfester Polemiker, der spielend mit seinen Kritikern und anderen humorlosen Zeitgenossen fertig wurde, ohne dabei die Totschlagmentalität eines Eckhard Henscheid (seines alten Weggefährten) oder eines Wiglaf Droste zu entwickeln. Er zeichnete wie der Teufel und er malte wie ein alter Meister. Das Laissez-Faire der Modernen Kunst war ihm verdächtig. Er hat darüber geschrieben, ich habe ihn zitiert. Ich habe ihn oft zitiert. Tausende haben ihn zitiert, viele davon ohne zu wissen, wessen Worte sie da im Munde führen. Redensarten wie „Mein Gott ist das beziehungsreich, ich glaub, ich übergeb mich gleich“ oder „Der Kragenbär, der holt sich munter einen nach dem andern runter“ sind zum Volkseigentum geworden. Ein Erfolgs- und Volksschriftsteller ist er geworden und in den letzten Jahren wurden ihm die literarischen Ehren zuteil, die man ihm, dem Spassmacher, dem Witzbold, so lange vorenthalten hatte. Er war ein Glückskind und ein Glücksfall. Jetzt ist er tot. Das ist leider keine Schlusspointe, sondern ein Schlusspunkt. Aber nicht der Tod, sondern Robert Gernhardt soll das letzte Wort haben : „So, voll Müdigkeit und Trauer/endet jegliche Geschichte./Alles macht die Zeit zunichte./Mit der Zeit wird niemand schlauer,/da das kein Geschöpf auf Dauer/aushält, dieses stete Enden, /diese Leere in den Händen,/ so voll Müdigkeit und Trauer.“ (Rondo)