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Archiv: 04.2006
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Moskau

18. Europäische Kulturtage


Für Leo Tolstoi war sie die Mutter aller russischen Menschen. Andere nennen sie das Dritte Rom, in dem das Herz der orthodoxen Kirche schlägt. Sie gilt als Tor zum Westen, durch das fruchtbare geistesgeschichtliche Impulse ins Land kamen, und als Hauptstadt der russischen Geistesgeschichte. Heute leben mehr als zehn Millionen Menschen in der Megapolis Moskau, und zu Kreml und Erlöserkathedrale gesellen sich die Wolkenkratzer von Moscow City. Die Europäischen Kulturtage - vom 22.April bis 13. Mai - nehmen beides in den Blick, Historie und Gegenwart der Schönen an der Moskwa.

Nach den Kulturtage-Themen St. Petersburg, Estland und Slowakei blickt das spartenübergreifende Festival erneut Richtung Osten. Karlsruhes Kulturreferent Michael Heck ordnet die Beschäftigung mit Moskau, nach Istanbul 2004, als zweiten Teil in eine "Trilogie der europäischen Geistesgeschichte" ein, die mit Rom ihren Abschluss finden soll. Die alle zwei Jahre stattfindenden Kulturtage bieten durch die Zusammenarbeit von Stadt und Badischem Staatstheater mit zahlreichen lokalen Kulturinstitutionen und -initiativen eine Fülle von rund 60 unterschiedlichsten Beiträgen vom Konzert bis zum Gorodki-Jugendturnier. Der mit Holzklötzchen und Wurfstock ausgetragenen Wettkampf, in Russland ein höchst populäres Spiel, findet vom 21. bis 23. April zwischen Teams aus Deutschland, Russland und Weissrussland statt.
Zurück in die untergegangene Welt des vorrevolutionären Russland führt die Fotografie-Ausstellung, mit der der städtische Teil des Festivals am 23. April im ZKM eröffnet wird. Die Bilder aus den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zeigen Angehörige aller Stände und die Bräuche unterschiedlicher Völker des Zarenreichs, sie bilden Landschaften und Städte ab, aber auch Kriegsszenen und Gefängnisse. Die Dokumente verdanken sich einer Reihe von Projekten, in denen russische Fotografen ähnlich der realistischen Literatur jener Zeit ihren rein beschreibenden, illusionslosen Blick auf die Menschen wiedergeben wollten. „Russische Dörfer“ bei Grenoble und in der Normandie, die von russischen Emigranten nach 1917 im französischen Exil entstanden, porträtiert eine weitere Fotoausschau, die im Centre Culturel Franco-Allemand ab 25. April zu sehen ist. Über seine Exilzeit in Moskau zwischen 1935 und 1945 berichtet hingegen als einer der letzten Zeitzeugen der 1921 in Wien geborene Wolfgang Leonhard, Autor des Buches „Die Revolution entlässt ihre Kinder“, am 3. Mai im Literaturhaus im Prinz Max-Palais.
Das Gedok-Künstlerinnenforum zeigt in der Markgrafenstraße 14 ab 25. April die beiden Projekte „High Culture“ und „warZeichen“ von Uta Süße-Krause, die sich in ihren Fotografien mit den Wahrzeichen von Metropolen wie der Basiliuskathedrale in Moskau auseinandersetzt. 100 Ikonen der Moskauer Schule aus der Zeit um 1600, teils tischplattengroß, sind ab 30. April in der Krypta der Evangelischen Stadtkirche zu sehen. Die unter dem Titel „Himmel auf Erden“ ausgestellten Stücke, darunter auch sakrale Gewänder und christliche Kultgeräte, stammen aus dem Ikonenmuseum Autenried, dem größten Museum für ostkirchliche Kunst außerhalb der slawischen Länder.
Stars der russischen Akrobaten-Avantgarde sind am 24. April im Tollhaus zu erleben. “La Saison Russe“ vereinigt mit der Luftakrobatin Olena Yakimenko, dem Handstand-Equilibristen Maxim Bondarenko, dem Akrobatenduo Novruzov und weiteren
herausragenden Akrobaten einige der derzeit führenden russischen Varieté-Attraktionen.
Das Badische Staatstheater startet seinen ersten Festivalbeitrag am 22. April mit Peter Tschaikowskis zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Ukraine spielenden Oper „Mazeppa“, in der der Komponist russische und ukrainische Volkslieder verarbeitet hat. Tschaikowskis „Eugen Onegin“ ist am 30. April im Badischen Staatstheater in einer Gala-Vorstellung unter dem Gast-Dirigat von Oleg Caetani zu erleben, und als Uraufführung zeigt die Karlsruher Staatsbühne am 6. Mai das Ballett „Anna Karenina“ nach Tolstois Roman in der Choreographie von Terence Kohler, die Musik dazu stammt vom Dimitri Schostakowitsch.
Unbekannte Werke aufzuführen und bekannte Opern für heute neu zu entdecken ist das erklärte Ziel der 1991 gegründeten Novaja Opera Moskau. Das Moskauer Haus zeigt in Karlsruhe am 9. und 10. Mai die Oper „Der Dämon“ von Anton Grigorjewitsch Rubinstein (in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln) und bietet am 11. Mai ein Konzert, in dem neben anderen russischen Kompositionen Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ erklingen. Ebenfalls in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln kommt die Dramatisierung des ersten Teils von Tolstois „Krieg und Frieden“ am 29. April als Gastspiel des Theaterstudios Pjotr Fomenko ins Staatstheater. Die innovative Moskauer Bühne war bereits auf zahlreichen internationalen Festivals vertreten und zeigt bei den Europäischen Kulturtagen außerdem am 26. und 27. April im Staatstheater das Stück „Ein absolut glückliches Dorf“ von Boris Wachtin.
Der Einblick in klassische und aktuelle Moskauer Kultur reicht von sakralen Gesängen und Volksweisen mit dem Don Kosaken Chor Wanja Hlibka am 10. Mai in der evangelischen Stadtkirche, bis zum Rockkonzert mit der Moskauer Alternative-Band Va-Bank am 4. Mai im Tollhaus. Im Karlsruher Jazzclub ist am 26. April der Moskauer Schriftsteller und Musiker Misha Feigin zu Gast. In seinem Projekt „Moscow by heart“, gemeinsam mit dem Geiger Helmut Bieler-Wendt und dem Kontrabassisten Johannes Frisch, greifen Sprache und Klang, akustische und elektronische Elemente ineinander.
Thematisch abgerundet und wissenschaftlich vertieft wird das Thema der Kulturtage wiederum in einem Symposium (vom 5. bis 7. Mai in ZKM und Badischem Staatstheater). Es trägt den Titel „Moskau, das Dritte Rom“ und befasst sich unter anderem mit Pressefreiheit, Rechtskultur und Zivilgesellschaft sowie Wirtschafts- und Sozialpolitik in Russland. afr


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