Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 06.2011
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Heiße Luft

Bild - Heiße Luft
Nein, ich war nicht live dabei, als sich Kate und William in der Westminster Abbey das Jawort gaben und ich habe nicht mitgefiebert, als Lena versuchte den Eurovision Song Contest (ESC) erneut zu gewinnen. Dafür ist mir meine Zeit zu kostbar, und doch war es auch mir schier unmöglich diesen beiden Ereignissen zu entkommen. Wie ein Krake streckten die Medien und insbesondere das Fernsehen ihre Tentakel nach dem Publikum aus. Weil das Ereignis selbst allenfalls ein paar Stunden, die Trauung sogar nur einige Minuten, dauerte, wurde eine immense Vorberichterstattung betrieben, der es vor allem an einem mangelte, an Substanz. Den Erfolg dieses Aufwands um fast nichts sieht man allein schon daran, dass ich ohne je bewusst in eine dieser Sendungen eingeschaltet zu haben, mich dem Medientrubel nicht entziehen konnte, auch ich habe etwas davon mitbekommen, weil man den Fernseher nicht einschalten konnte, ohne mit dem Geschehen, genauer gesagt, mit dem Gewese, was darum herum gemacht wurde, kontaminiert zu werden. Und kaum eine Sekunde verging nach dem Klick im Internet, und schon wieder hatte ich etwas Neues über Kate und William bzw. Lena erfahren, das ich eigentlich gar nicht wissen wollte. Wenn die Privaten den Medienhype angezettelt hätten, würde man sich nicht wundern, aber nein , in der ersten Reihe dabei waren die guten alten Tanten ARD und ZDF. Da gab es auf einmal auf beiden Kanälen Hofberichterstattung im XXL-Format, als wäre das eine ureigene Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eines demokratischen Gemeinwesens und die ARD, die für die Übertragung des ESC zuständig war, beackerte jeden Meter der Düsseldorfer Arena - mit und ohne Lena. Wohlgemerkt: Ich habe nichts gegen singende Teenager mit Doppelnamen, aber ich muss sie nicht jeden Tag sehen und hören. Warum setzen ARD und ZDF eine so gigantische Maschinerie in Gang, verwenden sie jede Menge Zeit, Material, Menschen und Geld darauf von Scheinereignissen zu berichten´ Ganz gewiss auch weil es Quoten bringt, aber der tiefere Grund für das exzessive Engagement scheint mir darin zu liegen, dass es ungemein entlastet von Ereignissen zu berichten, die man sich zurechtstellen kann, die einem das Gefühl vermitteln, sie zu beherrschen, die sich in Ruhe von jeder Seite betrachten und kommentieren lassen. Was für ein Unterschied zu der aktuellen Tagesberichterstattung, die weder die Ereignisse in Japan noch in den arabischen Ländern richtig in den Begriff kommt. Es ist verständlich, dass sich Reporter nicht in Lebensgefahr begeben, um in vorderster Front von blutigen Zusammenstößen oder kriegerischen Auseinandersetzungen zu berichten, auch ist es menschlich nachvollziehbar, dass ARD und ZDF aus Sorge um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter ihre Redaktionen aus Tokio abgezogen haben, als die Strahlenwerte rund um Fukushima stiegen und stiegen, aber klar ist doch auch, dass man, je weiter man sich vom Ort des Geschehens entfernt, mehr und mehr auf Informationen aus zweiter Hand, auf die höchst subjektiven und damit auch unzuverlässigen Mitteilungen der betroffenen Parteien angewiesen ist. Die verwackelten Handybilder aus Syrien und Jemen , die nur vage erahnen lassen, was da zu sehen ist, sind doch kein Ersatz für eine profunde Berichterstattung vor Ort., die von den (noch) regierenden Regimen aus guten Gründen verhindert wird. Schmerzlich bekommen die seriösen Nachrichtenredaktionen zur Zeit spüren, dass es in der globalisierten Welt wieder mehr und mehr blinde Flecken und verbotene Zonen gibt, ist es da nicht eine wahre Lust sich ungehindert „backstage“ beim ESC tummeln zu können oder den überaus auskunftsfreudigen Klatschbasen und Adelsexperten rund um den Buckingham Palace das Mikrofon vor die Nase zu halten. Leuchtend hell hebt sich die auf der Showbühne zelebrierte europäische Harmonie, die sogar bis nach Vorderasien (Aserbeidschan) reicht, von der dunklen Folie der derzeitigen Europa- und Eurokrise ab. Nun ist es vorbei, der graue Alltag hat uns wieder und selbst wer beim ausufernden Treiben um Kate, William und Lena am liebsten die ESC-Taste gedrückt hätte, wird sich vielleicht irgendwann zurücksehnen nach den medialen Scheinriesen dieses Frühlings, der fast ein Sommer war (die einen nennen es „Klimakatastrophe“, die anderen „schönes Wetter“) , und existentielle Fragen, wie die nach dem Kleid der royalen Braut oder dem Outfit von Lena die unsere Nation (na ja, einen Teil davon) bewegten.