Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 04.2011
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Die Wahrheit in Zeiten der Kernschmelze

Ich sehe mir in der Regel keine Talkshows an, die wie die ausufernden Sportübertragungen und die mit der heißen Nadel gestrickten Krimis mehr und mehr das öffentlich-rechtliche Programmangebot überschwemmen und auf ungute Weise prägen. Der Erkenntniswert des telegenen Gelabers zu aktuellen Themen liegt im Promillebereich im Vergleich zu der Unmenge von Phrasen, die dabei von mehr oder minder prominenten Zeitgenossen abgesondert werden.

Ich verstehe auch nicht, was zum Beispiel Anne Will dafür qualifiziert eine Gesprächsrunde zu produzieren (für teures Geld) und zu leiten, die dann auch unter dem Etikett ihres eigenen Namens läuft: Ihre Intelligenz wird es wohl nicht sein. So habe ich auch von der Anne Will-Sendung vom 13.3. erst im Presserückblick erfahren, dank einer vernichtenden Fernsehkritik, in der vor allem der ZDF-Literaturchef Wolfgang Herles sein Fett abbekam, der als einziger in der Runde noch eine Lanze für den Atomkurs gebrochen haben soll. Dazu gab es eine ganze Reihe hasserfüllte Tiraden in den anhängenden Leserbloggs, die mich neugierig machten auf die Sendung und den Herles-Auftritt. Dank der ARD-Mediathek war es ein Leichtes, Versäumtes nachzuholen.

Gleich zum Auftakt gab Herles einen schlichten Satz von sich, der aber im Nachhinein für mächtige Aufregung sorgte. Er sagte, die deutschen Kernkraftwerke seien so sicher wie sie es am Freitag gewesen sind, also vor dem verheerenden, folgenreichen Erdbeben in Japan. Das ist so wahr, man könnte natürlich auch abschätzig sagen “banal“, dass daran nicht zu rütteln ist. So wie unsere Wohngebäude durch das Erdbeben vor der japanischen Küste nicht ins Wanken gekommen sind, standen unsere AKWs auch weiterhin unerschüttert auf deutschem Boden. (Ob sie unerschütterlich sind, das steht auf einem anderen Blatt.)

Das ist keine weltbewegende Erkenntnis, aber in einer Zeit emotionaler Aufwallungen entlädt sich selbst an so etwas der Zorn der Gerechten und das sind auf absehbare Zeit die AKW-Gegner, die sich in diesen Tagen auf eine gar nicht so wundersame Weise rapide vermehrt haben. Und weil dem so ist, ist man auch schnell dabei, jedem, der zu der Forderung, dass man die AKWs sofort abschalten sollte, ein paar kleine, sachlich fundierte Einwände vorzubringen vermag, sogleich als einen Reaktionär in Diensten der Atomlobby abzustempeln.


Nein, ich war und bin kein Anhänger der Atomenergie, mir wäre es auch lieber, wenn Wind, Wasser und Sonne die einzigen Stomlieferanten wären und wohl ist mir auch nicht in der Nähe mehrerer AKWs entlang des Rheingrabens, der, wie man weiß, erdbebengefährdet ist. Aber mir ist auch klar, dass sich die Atomkraft nicht einfach abstellen lässt wie ein altes Fahrrad. Unter allen Umständen bin ich jedoch dafür, dass öffentliche Diskurse mit sachlichen Argumenten geführt werden, dass es selbst, wenn die Emotionen hochschwappen, dabei bleibt, dass zwei mal zwei vier und a = a ist.

Wenn darüber keine Einigkeit mehr herrscht, sollte man es besser gleich bleiben lassen. Dann geht es nur noch darum, sich selbst ins rechte Licht zu setzen, sich zu gefallen in der Pose des allseits betroffenen „Wutbürgers“, der mit Vorliebe sinnfreie Vokabeln wie „menschenverachtend“ im Mund führt, dem seine eigene zur Schau getragene Ablehnung schon Argument genug ist. Hoch schlugen die Wellen der Empörung, als vor knapp zehn Jahren die amerikanische Essayistin Susan Sonntag darauf bestand, dass die Terroristen, die am 11.9. das World Trade Center zum Einsturz brachten, alles mögliche waren, aber ganz gewiss nicht feige. Man kann das Beharren auf den rechten Sprachgebrauch in einem solchen Moment für unangemessen und unangebracht halten, aber schon das ist so etwas wie eine Kapitulationserklärung der menschlichen Vernunft angesichts von Katastrophenszenarien, die zu bewältigen nichts anderes als einen klaren Verstand und eine saubere Begrifflichkeit fordern.

Die Wahrheit ist im Gegensatz zum Atom unteilbar.