Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 05.2015
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Die Macht der alten Säcke

Bild - Die Macht der alten Säcke
Toll! So wie es jetzt aussieht, gibt es 2022 die erste Fußball-WM im Winter mit einem Endspiel kurz vor Weihnachten. Das wird rauschende Fußballfeste in der Heimat geben mit Public Viewing auf dem Weihnachtsmarkt bei Glühwein und Kinderpunsch. Dass ich das noch erleben darf, wenn ich es denn erlebe. Ich bin mir aber ganz sicher, dass der Hauptverantwortliche für diese Entscheidung, der Fifa-Präsident Sepp Blatter, noch live dabei sein wird (nicht auf dem Weihnachtsmarkt, sondern in Katar), denn der Alte, Jahrgang 1936, ist einfach nicht totzukriegen, und so wie es aussieht, wird er demnächst allen Korruptionsvorwürfen zum Trotz in sein Amt wiedergewählt. Hier hat offenbar einer keine Lust auf den Ruhestand, der den Arbeitnehmern hierzulande geradezu aufgenötigt wird. Die meisten freut es freilich, wenn sie aus der Tretmühle des Arbeitslebens austreten und endlich das machen dürfen, was sie schon immer machen wollten, vorausgesetzt, sie haben noch Interessen außerhalb der Arbeit, und sie sind gesundheitlich und finanziell dazu in der Lage. In früheren Zeiten war mit etwa 50 der Ofen aus. Wer älter wurde, galt als Greis. Wer noch viel älter wurde wie zum Beispiel der Geheimrat Goethe, der mit 83 Jahren widerwillig starb („Den Tod statuiere ich nicht“) , wurde bestaunt. Heute erregt ein Achtzigjähriger allenfalls noch Bewunderung und Staunen, wenn er wie Heiner Geißler bei der Stuttgart 21-Schlichtung coram publico eine beachtliche geistige Präsenz beweist. Das Bild, das er dabei abgab, steht in einem krassen Kontrast zur Erfahrung, die man gewöhnlich im Bekannten- und Verwandtenkreis mit alten Leuten macht, die nur noch aus einem überschaubaren Repertoire an Phrasen, Redensarten und Binsenweisheiten schöpfen, wenn sie überhaupt noch etwas auf die Reihe bringen. Ja, es gibt sie, die fitten Alten, die körperlich robust und geistig beweglich ihr Leben nach dem Ruhestand in ihrem Sinne gestalten, aber es gibt sie auch (in der Mehrzahl), die Alten, die die Altenheime und Pflegeheime bevölkern. Warum der eine sich noch neugierig in der Welt tummelt, während der Altersgenosse unter Anleitung von Schwester Olga Kastanienmännchen bastelt, ist ein Rätsel. Tatsache bleibt aber nun mal, dass die körperlichen und geistigen Kräfte im Alter abnehmen und dass es nicht (allein) in unserer Entscheidung liegt, wann dieser Abbau an die Substanz geht, wann wir dement und pflegebedürftig werden. Wäre es anders, so wären wir der unumschränkte Herr über unser Dasein, und das sind wir nun mal nicht. Wer aber sagt einem Herrn wie Sepp Blatter, dass er dummes Zeug daherredet und blödsinnige Entscheidungen fällt, dass es Zeit ist sich zurückziehen? Wohl kaum einer, denn Sepp Blatter hat die Macht und an die klammert er sich wie auch Bernie Ecclestone (Jahrgang 1930!), der milliardenschwere Formel 1-Chef, der im letzten August sogar noch das berauschende Gefühl auskosten durfte, über dem Recht zu stehen. Nach Zahlung einer beträchtlichen Summe wurde ein Schmiergeldprozess gegen ihn in München einfach so eingestellt. Aber mit aller Macht und allem Geld kann er nicht verhindern, dass der überzüchtete Formel 1-Zirkus nach und nach ins Leere des Publikumsinteresses läuft (und das ist gut so). Der Rausch der Macht bildet den denkbar größten Gegensatz zum Gefühl der Ohnmacht, das die meisten Menschen im hohen Alter befällt, die eben keine Macht mehr haben, weder über andre noch über sich, nicht einmal mehr über die Funktionen des eigenen Körpers. Ein Silvio Berlusconi (Jahrgang 1936), der nimmersatt immer wieder nach der politischen Macht strebt, obwohl er nebenbei noch über ein Medienimperium herrscht und ein Milliardenvermögen zwischen ihm und der Altersarmut steht, wirkt mit seinen gefärbten Haaren und seinen mehrfach gelifteten Gesichtszügen wie ein überdeutliches Zerrbild der anderen machthungrigen Greise, die glauben, all das Geld und all die Ämter, die sie aufgehäuft haben, würden Zerfall und Tod von ihnen fern halten. Ihr ganzes Machtgebaren ist ein Abwehrzauber gegen das Unvermeidliche, der zumindest phasenweise auch noch funktioniert. Aber eben – das ist ein schlichter Erfahrungswert – nicht auf Dauer. Vielleicht liegt darin auch der Schlüssel für die jüngste, viel diskutierte Äußerung des VW-Aufsichtsratschefs und Firmenpatriarchen Ferdinand Piech (Jahrgang 1937), der mit einem knappen Satz („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“) den etwas jüngeren Vorstandschef ins Gerede brachte und zur Disposition stellte. Herr Piech, der es gewiss als Majestätsbeleidigung empfindet, dass meine Schreibmaschine keine zwei Pünktchen über seinem e zustande bringt, wollte einfach wieder mal zeigen, was eine Harke ist. Macht wird langweilig, wenn man nicht ab und an Gebrauch von ihr macht. Es ist das einzige Vergnügen, das den oben genannten alten Säcken bleibt. Dass sie damit anderen auf den Sack gehen, ist Teil des Vergnügens.