Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 09.2014
Kunst, Ausstellungen Kunst

 

Peter Weibel

Wir bieten ein Erlebnis, das man nirgends sonst so haben kann

Mit einem „Panorama der Revolution der 1960er Jahre“ feiert das ZKM in diesem Herbst sein 25-jähriges Bestehen. Dabei spielen die Ursprünge der Aktions- und Medienkunst in Deutschland ebenso ihre Rolle wie der „godfather“ des Avantgardekinos Jonas Mekas aus den USA und der französische Künstlerrebell Jean-Jacques Lebel aus Frankreich. Im Dezember folgt dann mit Lynn Hershman eine der bedeutendsten Vertreterinnen der feministischen Revolution. Binnen weniger Tage bereits ausverkauft waren die drei Festkonzerte mit den deutschen Elektro-Pop-Pionieren Kraftwerk, die am 12. und 13. September die Jubiläumssaison einläuten. Klappe Auf unterhielt sich mit Peter Weibel, der seit 1999 die Geschicke des Hauses lenkt, über die im vergangenen Vierteljahrhundert erlangte Stellung des Karlsruher Kunst- und Medientankers.


Warum geben Sie sich zum 25-jährigen Bestehen des ZKM so retro und nicht betont zukunftsorientiert?
Peter Weibel: 2014 sind wir retro. Mir war es wichtig, zunächst die Quellen aufzuzeigen, aus denen heraus das ZKM geschaffen wurde. Als man 1988 mit dem Symposium „Aufbruch der Künste“ die Gründung vorbereitete hatte man gerade ein von der Rückkehr der Malerei geprägtes Jahrzehnt hinter sich. Mit dem ZKM rückten die eigentlichen Neuerungen der Künste nach dem Zweiten Weltkrieg in den Blickpunkt: die Handlungsorientierung und die mediale Erweiterung. Mit Beuys, Brock und Vostell, Lebel und Mekas präsentieren wir diesen Aufbruch, der bereits in den 60er Jahren seinen Ursprung hatte. 2015 werden wir den Blick dann mit unserem großangelegten Ausstellungsprojekt Globale nach vorne richten.

Welche ist die wichtigste Leistung, die das ZKM in den vergangenen 25 Jahren hervorgebracht hat?
Weibel: Das ist sicherlich, dass wir ein Pionierprojekt sind, das weltweit imitiert wird. Wir waren die ersten, die sich als Museum aller Gattungen begriffen haben, und praktizieren Mediengerechtigkeit, während die großen Häuser weltweit immer noch das Primat der Malerei praktizieren. Wir haben Sound Art und Performance präsentiert und Ausstellungen über Themen wie die „Algoritmische Revolution“ gemacht, als man diesen Begriff jedem Journalisten noch vorbuchstabieren musste. Heute werden wir in aller Welt nachgeahmt und regelmäßig sind hier Delegationen zu Gast, die sich informieren, weil sie eigene Museen nach unserem Vorbild planen. Die zweite große Leistung ist jedoch, dass wir neben der globalen Anerkennung die Bodenhaftung und den Kontakt zur Karlsruher Bevölkerung behalten haben. Nur so können wir jährlich auf 220.000 bis 240.000 Besucher kommen. Ich bin stolz darauf, dass wir nicht nur „Big in Japan“, sondern auch „Big in Karlsruhe“ sind.

Das ZKM wird in der Öffentlichkeit in erster Linie als Ausstellungshaus wahrgenommen. Hier wird ja aber auch geforscht. Was ist das wohl bedeutendste Ergebnis ihres Hauses in den vergangenen 25 Jahren?
Weibel: Wir haben ein Buch in Arbeit, das auf 600 Seiten dokumentiert, was wir in den vergangenen 25 Jahren am Haus mit unzähligen Gastkünstlern entwickelt haben, von Installationen über CD-Roms bis zu Internet-Projekten. Im Grunde kreist dies alles um den Begriff der Interaktivität, einen Begriff, der in der Kunstwelt mit am meisten verachtet wurde. Alles, was wir entwickeln, hat damit zu tun, dass das Publikum eingreift. Denn das ist die eigentliche Herausforderung der Medienkunst. Es geht nicht darum, in Videos auf billigem Weg möglichst hollywoodartige Bilder zu produzieren, die Interaktion ist das eigentliche Thema der Medienkunst.

In welcher Richtung sollte sich das ZKM in den kommenden Jahren entwickeln?
Weibel: Bislang war die Kunst vor allem auf das Produkt konzentriert. In Zukunft wird die Distribution in den Mittelpunkt rücken. Über das Internet verteilen die Menschen weltweit ihre Daten, und wir erschaffen uns so eine Welt, in der nichts mehr stabil ist. Wahrheit und Wirklichkeit werden zunehmend zu relativen Größen. Auch die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit stellt sich neu. Bereits im Zuge der Globale werde wir zu diesen Fragenkomplexen neue Forschungszweige einrichten. Auch die Exoevolution, das bedeutet die Auslagerung der Funktionen der menschlichen Organe, Nerven und Muskeln auf Maschinen und Medien, schreitet unaufhaltsam voran. Bei der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft wurde - leider nur ganz kurz - ein querschnittsgelähmter Mensch gezeigt, der über seine Gedanken mit Hilfe eines Exoskeletts einen Ball anstößt. Dazu kommt die zunehmende Beachtung der Infosphäre, der uns umgebenden elektromagnetischen Felder, die wir uns gerade einmal seit 100 Jahren beginnen nutzbar zu machen, um in der zunehmend beeinträchtigten Bio- und Atmosphäre überhaupt weiter existieren zu können. All dies sind Themen, die uns in den kommenden Jahren aus künstlerischer Sicht an vorderster Front beschäftigen müssen.

Technologischer Fortschritt scheint die Welt nicht nur zu verbessern. Welchen Beitrag zur Demokratisierung und Humanisierung der Welt können die zeitgenössische Technologien leisten?
Weibel: Die Moderne hat Exzesse und Enthemmungen sondersgleichen freigesetzt. Die betrifft das Sexuelle und das Aggressive ebenso wie die Enthemmung der Finanzmärkte und des wirtschaftlichen Wachstums. Ein junger Mensch kann heute mit ein paar Klicks Dinge wahrnehmen, die man früher im Lebtag nicht zu Gesicht bekam. Der Preis ist die Gewalt, die wir in früher nicht gekanntem Ausmaß erleben. Doch das ist nur das Symptom, das Fieberthermometer sozusagen. Die Moderne hat aber keine Instrumente entwickelt, die die Probleme dieser Entfesselungen lösen. Die Kunst hat den Freiraum, die Möglichkeit und die Aufgabe, Probleme, die auf anderen Gebieten nicht beantwortet werden, in den Blickpunkt zu rücken. So werden wir zum Beispiel im Rahmen der Globale einen Kongress zum Thema „Globale Gesundheitspolitik“ veranstalten, bei dem wir etwa anhand einer indischen Augenklinik Wege aufzeigen, wie Gesundheitspolitik wirtschaftlich funktionieren kann, ohne ärmere Menschen auszugrenzen.

Im kommenden Jahr leistet das ZKM mit der Globale einen zentralen Beitrag zum Karlsruher Stadtgeburtstag. Können Sie knapp nennen, worauf sich die Besucher freuen können?
Weibel: Während die großen Museen Moderner Kunst heute vielfach einen Kanon - sagen wir - von Warhol bis Baselitz zeigen, wird der Reichtum tausender aktueller Künstler weltweit wenn überhaupt ausschließlich auf den sich vermehrenden Kunstbiennalen gezeigt. Mit der Globale versprechen wir die überragende Vielfalt und die Schönheit der Kunst, die derzeit produziert wird, zu zeigen. Wir bieten damit ein Erlebnis, das man nirgends sonst so haben kann, in keinem anderen Museum, aber auch nicht im Internet.