Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 07.2014
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Gesenkten Hauptes oder Not Texting While Walking

Bild - Gesenkten Hauptes oder Not Texting While Walking
Früher, in der guten, alten Zeit, als die Telefone noch fest installiert waren und gelbe Telefonzellen zum Stadtbild gehörten, gab es noch die Redensart vom erhobenen Haupt, meist in der Genitiv-Form, die ja mittlerweile auch schon nahezu ausgestorben ist.
Erhobenen Hauptes sollte eine Mannschaft nach einer unglücklichen Niederlage das Fußballfeld verlassen. Erhobenen Hauptes präsentierte sich der Widerstandskämpfer dem Erschießungspeloton. Erhobenen Hauptes stand der Rebell vor dem Königsthron. Erhobenen Hauptes, man könnte auch sagen, aufrecht durchs Leben zu gehen, war schlicht und einfach ein Ideal. Es war der körpersprachliche Ausdruck dafür, dass man sich nicht verbiegen lässt, dass man sich nicht duckt. Im aufrechten Gang mit erhobenem Haupt kommen die Natur und die Kultur des Menschen zur Deckung. Wer den Kopf einzieht, macht sich klein, verliert den Überblick, verengt seinen Gesichtskreis.

Ja, so war das mal, aber mittlerweile tut sich ja dem, der gesenkten Hauptes durchs Leben geht, eine ganz neue, eigene Welt auf, sofern sie halt in einem Smartphone zum sicht- und hörbaren Ausdruck kommen kann. Die Welt des Internets, des scheinbar unbegrenzten Wissens, der ständigen Erreichbarkeit, der grenzenlosen Kommunikation. Und so gehören heute eben nicht mehr gelbe Telefonzellen zum Stadtbild, sondern Menschen, die gesenkten Hauptes durch die Straßen und die Fußgängerzonen gehen, mit dem Smartphone in der Hand ihre Mails checkend, eine Nachricht absetzend, eine Information einholend, ein Spiel spielend. Von hinten gesehen geben sie ein komisches Bild ab, wie ein Torso:: Der Kopf ist eingezogen, ein Arm angewinkelt, so dass man meinen könnte, der Unterarm wäre amputiert.

Ein schöner Anblick ist das nicht, auch nicht von vorne oder von der Seite, so selbstbezogen, in sich verkapselt, bewegen sich gewöhnlich nur Autisten oder Schwerbetrunkene im öffentlichen Raum.. Dass es viele tun, macht es nicht besser im Gegenteil. Ob die Smartphone-Benutzer, die da so traumwandlerisch vor sich hingehen, wohl so genau wüssten, wo sie sich gerade befinden, wenn man sie mal schnell durch ein Schulterklopfen oder einen leichten Schlag auf den Hinterkopf aus der symbiotischen Beziehung zu ihrem Instrument reißen würde? Da bin ich mir bei vielen Zeitgenossen nicht so sicher.

Wer je als Auto- und Radfahrer einen solchermaßen fremdgesteuerten Fußgänger auf die Straße zulaufen sieht, der tut gut daran Geschwindigkeit rauszunehmen und bremsbereit zu sein, denn diese Sorte Verkehrsteilnehmer hält sich entweder für unverwundbar oder geht wie selbstverständlich davon aus, dass der, der selbst seine Außenwelt nicht wahrnimmt, von der Außenwelt wahrgenommen wird. Schade nur, dass sich nicht öfter ein Laternenpfahl dem Geisterfahrer auf zwei Beinen in den Weg stellt. Es wäre eine schmerzhafte, aber nützliche Lektion über das Primat der realen materiell greifbaren Welt gegenüber der ungreifbaren virtuellen Welt.

Diese Lektion ist freilich viel zu teuer bezahlt, wenn der Betreffende auch am Steuer seines Autos an seinem Lieblingsding rumspielt. Belastbare Statistiken über die Unfallhäufigkeit bei Smartphone-Gebrauch auf deutschen Straßen gibt es noch nicht, aber in den USA, die uns bekanntlich fast immer im Guten wie im Schlechten einen Schritt voraus ist, kursiert seit geraumer Zeit aufgrund gestiegener Unfallzahlen im Zusammenhang mit dem Smartphone Missbrauch die Losung „Not Texting While Driving“.
Kein geringerer als Werner Herzog hat im Auftrag eines amerikanischen Telekommunikationskonzern den Film „From One Second To The Next“ gedreht, indem die Verursacher und die Hinterbliebenen von Opfern schrecklicher Autounfälle zu Wort kommen, die dadurch ausgelöst wurden, dass der Autofahrer ein, zwei Sekunden zu lang seine Aufmerksamkeit dem Smartphone und nicht dem Straßenverkehr widmete. Ein junger Mann ist darunter, der während er seiner schwangeren Frau mal schnell eine Liebesbotschaft zukommen ließ, drei Kinder totgefahren hat.(Der Film ist übrigens auf Youtube zu sehen.)Wer hundert- bis zweihundert Meter im Blindflug über eine Straße rast, spielt mit seinem Schicksal und mit dem anderer. Und für was? Für nichts!

Dass die Smartphones so schön handlich sind, bedeutet nicht, dass man sie ständig in der Hand haben muss, im Gegenteil, da sie so klein sind, kann man sie bei Nichtgebrauch problemlos in die Handtasche oder die Jackentasche stecken und erhobenen Hauptes, gemessenen Schrittes und mit wachen Sinnen durch die Stadt gehen. Unser eigentliches Denk-, Kommunikations- und Wahrnehmungszentrum sitzt nämlich - Überraschung !– im Kopf.